Die moderne, digitale Arbeitswelt bringt neben vielen Vorteilen auch neue Herausforderungen mit sich: 22% der Erwerbstätigen in der Schweiz sind meistens oder immer gestresst – mit steigender Tendenz (1). Spannenderweise nehmen gleichzeitig die effektiv geleisteten Arbeitsstunden ab und die von Arbeitgebern angebotenen Ferientage zu (2).
Es braucht also scheinbar neue Ansätze, um mit dieser zunehmenden (meist psychischen) Belastung umzugehen. Ein oft angesprochenes, aber höchst umstrittenes Mittel ist dabei die 4-Tage-Woche. Im Folgenden wollen wir den Begriff klären und auf die aktuellen Erkenntnisse zu dieser doch tiefgreifenden Lösung eingehen.
Bevor wir ins Detail gehen, müssen wir den Begriff «4-Tage-Woche» klären. Es gibt grundsätzlich zwei Ansätze: Das 100-100-100 Modell und das 100-80-100 Modell.
Mit diesem Ansatz ist gemeint, dass Mitarbeitende weiterhin 100% der bisherigen Arbeitszeit leisten, dafür 100% des Lohns bekommen und die Produktivität weiterhin 100% beträgt – neu einfach in vier statt fünf Arbeitstagen. Da die Belastung in diesem Modell gleich bleibt oder sogar steigt, beschreibt es eher flexible Arbeitszeiten und nicht eine echte 4-Tage-Woche.
Dieser Ansatz geht davon aus, dass für 100% des bisherigen Lohns in 80% der Arbeitszeit weiterhin 100% der Produktivität erreicht werden kann. Dies durch höhere Leistungsbereitschaft, einen effizienteren Einsatz der Arbeitszeit und mehr Erholungszeit für Mitarbeitende (3).
In diesem Artikel sprechen wir im Folgenden nur über das 100-80-100 Modell.
Man könnte meinen, die 4-Tage-Woche sei in der Schweiz ein neues Thema, doch dem ist nicht so. Bereits im Jahr 1998 wurde im Nationalrat eine parlamentarische Initiative zum Thema eingereicht (4). Das Ziel: Die damals geltende Höchstarbeitszeit von 39 Stunden pro Woche auf 32-36 Stunden pro Woche zu reduzieren. Aktuell stehen wir in der Schweiz bei 45 Stunden pro Woche und haben uns in die gegenteilige Richtung bewegt. Ist die Überlegung nach der bereits erfolgten Reduktion von 6 auf 5 Tage pro Woche in den 50er-Jahren wirklich so revolutionär oder radikal?
Jüngst in den Medien war die 4-Tage-Woche aufgrund eines gross angelegten Versuchs in Grossbritannien, an welchem über 3'300 Mitarbeitende und 60 Unternehmen teilnehmen. Hier ist es leider noch zu früh für erste Erfahrungen oder sogar statistische Erkenntnisse. Andere Unternehmen oder Länder haben aber schon früher das Experiment gewagt:
Die bisher durchgeführten Testläufe zeigen das Potenzial der 100-80-100 Woche, aber auch, dass die meisten Unternehmen und Länder noch sehr vorsichtig agieren. Gerade in der Schweiz ist die Skepsis gross: Unternehmen, wie die Bichler + Partner AG bieten zwar das 100-100-100 Modell an, aber nicht das 100-80-100 Modell mit reduzierter Arbeitszeit (12). Hierzulande wird aktuell vor allem auf verstärkte Teilzeitarbeit gesetzt (13).
Ist die 4-Tage-Woche also zwar ein schönes Gedankenexperiment, aber illusorisch bezüglich der Umsetzung? Die Antwort ist nicht so einfach.
Die reduzierte Arbeitsbelastung kann tatsächlich dazu führen, dass Mitarbeitende fokussierter, erholter und damit produktiver arbeiten (3). Dies vor allem, weil unproduktive Tätigkeiten, wie zum Beispiel Sitzungen drastisch reduziert werden. Diese Erkenntnis überrascht grundsätzlich wenig, das Ausmass der möglichen Produktivitätssteigerungen hingegen schon (8). Zusätzlich dazu bietet die 4-Tage-Woche ein grosses Potenzial, um sich als Arbeitgeber abzugrenzen und Fachkräfte zu gewinnen.
Neben den positiven Effekten für Unternehmen, sind natürlich auch Vorteile für die Mitarbeitenden ersichtlich: Mehr Freizeit, weniger Reisezeit, vereinfachte Weiterbildungen und bessere psychische, wie auch physische Gesundheit.
Die Herausforderungen sind deutlich komplexer und abhängig von der individuellen Situation des Unternehmens. Während bei Bürojobs die Hürden kleiner erscheinen, sind Handwerks- oder Servicebetriebe eher auf die vollen Arbeitsstunden in der 5-Tage-Woche angewiesen. Auch in Branchen mit Personalmangel, wie zum Beispiel der Pflege, könnte sich die Situation weiter verschärfen und es ist fragwürdig, ob die erhöhte Attraktivität des Jobs durch reduzierte Arbeitszeiten schnell genug neue Mitarbeitende anzieht.
Kleinere Effizienzgewinne sollten aber auch hier möglich sein, zum Beispiel durch die Reduktion unproduktiver Zeiten (z.B. Fahrtwege oder Administration). Diese Veränderung ist aber deutlich tiefgreifender und deshalb schwieriger umzusetzen.
Eine weitere Herausforderung ist der kulturelle Wandel, der mit dieser Anpassung einhergeht. Wer als Unternehmen die Produktivität seiner Mitarbeitenden nicht klar messen kann, muss die Entscheidung auf der Basis von Vertrauen treffen und wird nur indirekt über Erfolg oder Misserfolg der Massnahme urteilen können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die theoretischen Vorteile des 100-80-100 Modells klar sind, aber erst langsam auf ihre Realisierbarkeit geprüft werden. Dadurch besteht für Unternehmen in der Schweiz aber auch die Möglichkeit, eine Vorreiterrolle zu übernehmen und das Modell selbst zu testen. Gerade bei neu gegründeten Unternehmen ist es einfach, einen solchen Versuch durchzuführen – schliesslich gibt es noch keine bestehende Regelung, welche angepasst werden muss.